Ganze 17 Jahre nach der Veröffentlichung des geistigen Vorgängers versucht Torment – Tides of Numenera erneut Rollenspieler nicht mit spannenden Kämpfen, sondern mit einer grandiosen Geschichte zu überzeugen. Setzt die Lesebrillen auf, denn auf der Suche nach des Rätsels Lösung werden wir einiges zu lesen haben.
Auf den Pfaden eines Gottes
Abgestoßen und namenlos betreten wir Die Welt von Torment. Naja, zumindest fallen wir in Die Welt von Torment, denn als ungeliebtes Überbleibsel einer Gottheit werden wir vom Himmel gestoßen. Während der wandelnde Gott unseren Körper verließ, entwickelten wir ein eigenes Bewusstsein, welches sich schon bald auf die Suche nach seinem Schöpfer macht.
Gleich zwei Seelen entdecken unser neues trostloses und geschwächtes Ich und nehmen sich uns an. Callistege und Aligern sind dabei längst keine Rollenspiel Stereotypen und repräsentieren wunderbar die phantastischen Charaktere des Spiels. Während Aligern ein ehemaliger Aeon Priester ist, welcher auf den Pfaden des wandelnden Gottes schreitet, um einer persönlichen Krise nachzugehen, repräsentiert Callistege, welche auf mehreren Ebenen der Existenz gleichZeitig wirkt, den Orden der Wahrheit. Ständig umhüllt von alternativen Versionen ihres Seins, zeigt sie sich stets verdeckt, wenn es um ihre eigene Motivation geht. Diese und andere Charaktere begleiten uns auf der Reise durch eine noch unbekannte Welt. Eine Reise auf der wir uns über so einige Fragen den Kopf zerbrechen werden.

Torment – Tides of Numenera | Bildschirmaufnahme
Das Wort ist mächtiger als das Schwert
Betonen kann man es hierbei nicht genug: Wer Torment spielen möchte, muss sich auf massenweise Text einlassen. Mit 1,3 Millionen Wörtern an Bildschirmtext ist es definitiv eines der Schwergewichte unter den digitalen Rollenspielen. Zum Vergleich: Die gesamte „der Herr der Ringe“-Trilogie hat lediglich eine halbe Millionen Wörter. Doch ist Quantität auch gleich Qualität?
Connaisseurs abgedrehter Geschichten und der Entschlüsselung von gut versteckten Geheimnissen werden sich begeistert über Torment hermachen können. Die Dialoge laden oft zur Suche nach der bestmöglichen Konfliktlösung ein. Eine direkte Konfrontation gilt hierbei zumeist als die schlechteste Lösung.
Unsere Charaktereigenschaften bieten uns dabei alternative Optionen innerhalb der Gespräche an. Soll ich die Wache einschüchtern, anlügen oder mit Argumenten überzeugen? Unsere Wahl verändert nicht nur den Ausgang der Geschichte, sondern auch das moralische Selbstbild unseres Charakters.
Die Erfolgschancen unserer Optionen hängen nicht nur von den Statuspunkten, sondern auch von selbst verteilten Boni ab. Hierbei kann jede Aktion, egal ob im Gespräch oder im Kampf, durch stark begrenzte Attributpunkte gezielt verbessert werden. Wiederherstellen können wir diese jedoch nur an sicheren Rastplätzen. Jede Entscheidung gewinnt durch dieses Gameplayelement an Gewicht, denn einmal vertan können wir das Geschehene nicht wieder rückgängig machen.

Torment – Tides of Numenera | Bildschirmaufnahme
Und wie steht es mit dem Kampf?
Wer jetzt neben den spannenden Dialogen auch auf Aktionsreiche Kämpfe hofft, muss sich leider enttäuscht zurücklehnen. In Torment degradiert der Kampf zur Nebensache. Rundenbasiert teilen unsere Charaktere zwar nicht nur mit Schwert und Schild, sondern auch mit Zaubern kräftig aus, doch kommt es gefühlt nur alle paar Spielstunden zu einem Kampf. Das Anlegen von Ausrüstung fokussiert sich daher viel weniger auf hohe Schadenswerte, sondern viel mehr auf die kostbaren Attributpunkte, welche wir auch außerhalb von Kämpfen nutzen können. Das System rund um die Ausrüstungsgegenstände „Cipher“ und „Artefakte“ hatte dabei deutlich mehr Potenzial, als es am Ende ausspielen konnte.
Ähnlicher Bedeutung wurde leider auch der Charaktererstellung zu Beginn des Spiels zu teil. Lediglich die Entscheidungen zwischen Mann und Frau sowie einer von drei Klassen werden uns gewährt. Eine grobe Verteilung von Attributpunkten und die Wahl weniger Fähigkeiten bieten uns dabei noch etwas zusätzlichen Freiraum für Kreativität, doch haben selbst frühere Genrevertreter einiges mehr geboten.

Torment – Tides of Numenera | inXile Presskit
Kopfkino statt Bildgewalt
Während Torment bereits spielerisch kontrovers diskutiert werden kann, ist auch der Grafikstil Geschmackssache. Die begehbaren Welten sind detailliert ausgearbeitet und vermischen mittelalterliche Einflüsse mit einer großen Portion an Science-Fiction. Dieser Genremix lädt uns an allen Ecken und Enden zum Staunen ein und bietet eine Menge Stoff für die interessanten Geschichten. Leider bleiben sämtliche Animationen dem heutigen Standard weit zurück. Auch bei der Vertonung sind die Effekte zwar atmosphärisch erstklassig, doch hätten mehrere der ausgezeichneten Dialoge eine Synchronisierung verdient. Hier lässt Torment noch viel Spielraum ungenutzt.

Torment – Tides of Numenera | Bildschirmaufnahme
Ein Blick in die Vergangenheit – Planescape Torment
Torment – Tides of Numenera ist der geistige Nachfolger des vor 17 Jahren veröffentlichten Planescape Torment. Seit der letzten Veröffentlichung ist einiges an Zeit vergangen und auch damals spaltete das Spiel bereits die Genreliebhaber. Neben den ausgezeichneten Dialogen und den interessanten Charakteren, war auch damals schon der starke Fokus auf den pixeligen Bildschirmtexten so manchen Spieler ein Dorn im Auge.
Im Gegensatz zu anderen traditionellen Rollenspielen, wie der Baldurs Gate Reihe, stand der Kampf bei Planescape Torment im Hintergrund. Die Attribute Intelligenz, Charisma und Weisheit hatten deutlich höheres Gewicht, um in der Welt erfolgreich zu sein. Das anspruchsvolle Szenario und die vielfältigen zumeist philosophischen Geschichten stechen auch heute noch weit aus der Masse empor und rufen positive Erinnerungen in mir wach. Die schwere Zugänglichkeit macht das Spiel aber bis heute zu einem Exoten unter den Rollenspielen.
Wer sich selbst ein Bild von Planescape Torment machen möchte, wird bei GOG fündig. Hier kann die digitale Version des Spiels auch heute noch für rund 10 Euro erworben werden, was ein fairer Preis für das knapp 40 Stunden umspannende Abenteuer des Namenlosen ist.

Torment – Tides of Numenera | inXile Presskit
Fazit
Wer lesen kann ist hier klar im Vorteil. Denn Torment – Tides of Numenera möchte eine interaktive Geschichte sein und dies gelingt den Entwicklern von inXile Entertainment ausgezeichnet. Hier wird ein Buch lebendig und das Wort ist mächtiger als so manch andere Waffe. Fast jeder Konflikt kann durch geschickte Argumentation vermieden oder verkürzt werden. Begeisterte Rollenspieler werden sich durch die vielfältigen Optionen innerhalb der Quest-Reihen und Dialoge völlig ausleben können. Leider bleiben andere Spielelemente hinter der Genialität der Texte deutlich zurück und können langfristig die klaffende Lücke nicht wieder schließen. Wer sich nicht damit anfreunden mag, 90% der SpielZeit mit dem Lesen von Bildschirmtexten zu verbringen, sollte einen kilometerweiten Abstand zum Spiel nehmen. Den übrigen Spielern wünsche ich schon jetzt viel Spaß bei der Erkundung einer lebendigen Science-Fiction Geschichte, wie ich sie in dieser Qualität seit Langem nicht mehr gesehen habe.

Torment – Tides of Numenera | inXile Presskit
Torment im Überblick
- Entwickler-Studio: inXile Entertainment
- Publisher: Techland Publishing
- SpielZeit: ca. 30-40 Stunden
- Plattform: PC (Steam), Xbox One, PS 4
- Alter: ab 12 Jahren
- Spieleranzahl: Einzelspieler
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Kategorie:
- Rollenspiel
- Interaktives Buch
- Bildquelle: Alexander Dockhorn
- Lektor: Friedrich Lüder
Test und Besprechung von Alexander Dockhorn

Torment – Tides of Numenera | Bildschirmaufnahme
Bewertung
Wer lesen kann ist hier klar im Vorteil. Denn Torment – Tides of Numenera möchte eine interaktive Geschichte sein und dies gelingt den Entwicklern von inXile Entertainment ausgezeichnet. Hier wird ein Buch lebendig und das Wort ist mächtiger als so manch andere Waffe. Fast jeder Konflikt kann durch geschickte Argumentation vermieden oder verkürzt werden. Begeisterte Rollenspieler werden sich durch die vielfältigen Optionen innerhalb der Quest-Reihen und Dialoge völlig ausleben können. Leider bleiben andere Spielelemente hinter der Genialität der Texte deutlich zurück und können langfristig die klaffende Lücke nicht wieder schließen. Wer sich nicht damit anfreunden mag, 90% der SpielZeit mit dem Lesen von Bildschirmtexten zu verbringen, sollte einen kilometerweiten Abstand zum Spiel nehmen. Den übrigen Spielern wünsche ich schon jetzt viel Spaß bei der Erkundung einer lebendigen Science-Fiction Geschichte, wie ich sie in dieser Qualität seit Langem nicht mehr gesehen habe.
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Grafik
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Sound
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Story
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Atmosphäre
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Bedienung
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Spielidee
Weitere Informationen
- Titel: Interaktives Buch oder Spiel? – Torment – Tides of Numenera
- Kategorie: Computerspiele,Konsolenspiele
- Altersempfehlung: ab 12 Jahren
- Verlag: Techland Publishing